Aus dem Tagebuch einer Quereinsteigerin Teil 1
(Katalog 2013, Seite 235)
Seit dem ersten März 2012 arbeite ich für die Gärtnerei Rühlemann's. Mein Aufgabenbereich ist breit gefächert - oberstes Ziel: Das Gesamtpaket Gärtnerei zu bewerben. Das sind also nicht nur die Pflanzen - also das Produkt, welches die Gärtnerei herstellt - sondern auch die Gärtner selbst, die verschiedenen Gewächshäuser und der Platz auf dem sie stehen, all die Menschen, die dafür sorgen, dass diese Versandgärtnerei so läuft wie sie läuft - von der Putzperle und den vielen Saisonkräften über den Büroleiter und den Betriebsleiter bis hin zum Inhaber und Erfinder dieser Gärtnerei. Nicht zuletzt die Kunden, die sich für dieses spezielle Sortiment aus den verschiedensten Gründen interessieren. Ein Puzzle einzelner Teile lag vor mir, aber wie diese Einzelteile sich zu der Gesamtlogistik dieser Gärtnerei mit ihrem riesigen Angebot zusammenfügen - das war mir nach wie vor ein Rätsel ...
Um den Betrieb und seine Struktur kennen zu lernen, vereinbarte ich Praxistage in den einzelnen Abteilungen, denn: Will ich etwas lernen, dann brauche ich eigene Erfahrungen um Abläufe wirklich begreifen zu können.
Ich will mit eigenen Augen sehen, alles mit meinen eigenen Händen ertasten, den Duft selber riechen, dem speziellen Klang der Gärtnerei lauschen, kurzum: Ich brauche alle meine Sinne dafür.
Gesagt, getan, kurze Zeit später fand ich mich zu meiner eigenen und der Überraschung einiger Kollegen um 7 Uhr morgens in der Gärtnerei ein und stand fröhlich zu meinem ersten Einsatz an der Topfmaschine.
Zunächst bestand meine Aufgabe darin, die frisch getopften Pflanzen zu stickern, in die bereit stehenden Kisten zu stellen und diese flugs nebenbei auf die Gärtnerkarre zu stellen - alles natürlich während das Band mit den frisch getopften Pflanzen munter läuft. Geduldig zeigten mir Gudrun und Elvira die einzelnen Abläufe, Tricks und Kniffs, die sie sich im Laufe der Zeit angeeignet haben - aber mit dem Hinweis, dass jede so ihre eigene Art dabei entwickelt hätte.
Tja ... , ich glaube soweit werde ich heute nicht kommen eine "eigene Art und Weise zu entwickeln" ... diese Biester - auch genannt Sticker - wollen nicht so wie ich das will. Sah immer so leicht aus, was die Kolleginnen da tagtäglich tun ... Aber Gudrun ist geduldig, sie kennt das schon, wenn jemand neu an der Topfmaschine steht. Meist klappt es dann doch! Und ja, ich bin doch sehr überrascht, dass ich nach einiger Zeit den Dreh raus habe. Was ich daran merke, dass Gudrun still und heimlich die Taktung der liebevoll "Gertrude" genannten Maschine etwas schneller gestellt hat ... Meine Hände fühlen sich ob der ungewohnten Bewegungsabläufe ziemlich ungeschickt an, aber ich ergebe mich dem leisen Tuckern der Maschine und siehe da, geht doch schon ganz gut! Gerade als ich meine so den ganzen Tag weitermachen zu können, heißt es: "Wechsel!" Elvira nimmt meinen Platz ein, ich versteh nur Bahnhof ... also schnell hinter Jan herlaufen, der mich in die Geheimnisse des Ausstellens einweiht.
Nun werden nämlich die fertig getopften Pflänzchen an einen Platz in der Gärtnerei gestellt, an dem sie fleißig weiterwachsen dürfen. Gar nicht so einfach in der Hochsaison! Der Platz ist rar, trotzdem hat Jan mit geübtem Blick schon einige Tische ausgemacht, deren Lücken groß genug sind. "Tetris spielen" heißt das im gärtnereieigenen Jargon, und auch hier gibt’s wieder Tipps und Tricks, zum Beispiel wie man mit der eigenen Handspanne an den Tischen überschlagen kann, ob der Platz nun wirklich reicht. Während Jan schon wieder zu einem anderen Einsatz gerufen wird, spiel ich nun fleißig Tetris und versuche dabei alles zu beachten, was ich gerade erzählt bekommen hab - inklusive diverser ... ja genau: Tipps und Tricks!
Die Kollegen sind wirklich eine Wucht, ich fühle mich sehr gut unterstützt! So, nun nochmal kräftig gießen das Ganze ... da kommt wie gerufen Brigitte, unsere Kulturleiterin, um die Ecke. Sie zeigt mir das fachgerechte Angießen und erklärt auch so nebenbei den Sinn des Ganzen.
"Verstanden?" "Ja!" "Nachmachen!" - Ich liebe es!
Zurück an der Topfmaschine löse ich die zu topfenden Pflanzen aus den Quickpots und erfahre, dass ich nach der Mittagspause auch mal selber topfen darf! Ich freu mich drauf, damit hatte ich nicht gerechnet. Insgeheim danke ich dem Not-Aus-Knopf, der leuchtend rot an der Maschine prangt für sein Vorhandensein und denke: " ... wird schon werden!" Und tatsächlich wird das Topfen für mich zum schönsten Teil an diesem Tag. Kleine Pflänzchen, denen es zu eng in der Quickpot-WG geworden ist, aus selbiger befreien und in einen mit frischer dunkler Erde gefüllten eigenen 9x9-cm-Topf setzen, der nun bis zum Versand oder Verkauf ihr Zuhause sein wird. Ich bin erstaunt, wie unterschiedlich sich die Wurzelballen anfühlen, manche ganz zart und weich, andere kräftig bis störrisch. Lorbeer zum Beispiel: der klettert fast allein heraus, stemmt sich mit all seiner Wurzelkraft in die Höhe in vermeintlich bessere Gefilde. Und wie gut sie duften ... aaaah, da kommt wieder eine Partie Minze ... das erfrischt! Inzwischen bin ich soweit, dass ich mich trotz Topfens unterhalten kann. Das entspannt ungemein! Bis plötzlich Gudrun eingreift: "Jetzt wirst du nachlässig, die Pflanzen müssen etwas tiefer in den Topf!" Recht hat sie, hab mich in Gedanken wohl doch zu weit von der Topfmaschine entfernt. Also wieder ganze Konzentration: auf die Töpfe, fertig, los!
Am Ende dieses ersten Praktikumstages bin ich restlos überzeugt: das hat’s gebracht! Ich hab viel gelernt, viel verstanden, viele schöne Bilder und Eindrücke im Kopf.
Und bin völlig baff, als mir klar wird, dass über 90 % des Pflanzenangebots der Gärtnerei seinen Weg auf diesem Band begonnen hat. Das ist gewaltig!
Und was meinen Gudrun und Elvira zu meinem Einsatz? "Du bist zu gebrauchen, du darfst wieder kommen!" Na denn!
Abends, kurz vorm Einschlafen, ziehen plötzlich kleine Pflänzchen wie an einer Schnur gezogen an meinem inneren Auge vorbei … vielleicht ein kleiner Gruß von Gertrude...?
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